• 07.05.2024

Pressemitteilung: Das Umgangsrecht: Einfallstor für Gewalt gegen Mütter.
Ergebnisse der ersten bundesweiten Umfrage zum Thema

Berlin, 07.05.2024. Gewalttätige Väter nutzen das Umgangs- und Sorgerecht, um auch nach der Trennung Kontrolle und Gewalt über ihre Expartnerin auszuüben. Zudem erleiden gewaltbetroffene Mütter institutionelle Gewalt von Gerichten und Behörden, die das Umgangsrecht des Vaters über den Gewaltschutz für die Mutter stellen. Zu diesem Ergebnis kommt TERRE DES FEMMES aufgrund der ersten bundesweiten Umfrage zum Thema Umgangsrecht und Nachtrennungsgewalt, die TDF unter gewaltbetroffenen Frauen mit Kindern durchgeführt hat.

Frauen, die sich aus einer gewaltvollen Beziehung trennen, können nicht immer neu anfangen. Besonders für Mütter mit Kindern geht die Gewalt oft weiter. In welcher Form und in welchem Ausmaß sind gewaltbetroffene Mütter Nachtrennungsgewalt ausgesetzt – sowohl durch den gewalttätigen Ex-Partner, als auch in Form institutioneller Gewalt durch Familiengerichte und Jugendämter? Wie sieht die Realität an Familiengerichten und bei Beratungsstellen aus?

TERRE DES FEMMES hat zu diesem Thema die erste bundesweite Umfrage durchgeführt und 848 Frauen haben teilgenommen. Sie alle sind gewaltbetroffene Mütter, die von ihrem Ex-Partner und Vater ihrer Kinder getrennt sind.


„Das Umgangsrecht – Einfallstor für Nachtrennungsgewalt?“

Kernaspekte der Umfrage waren: Gewalterfahrung und Aufgabenverteilung vor der Trennung, über Umgangs- und Sorgerechtsangelegenheiten erlebte Nachtrennungsgewalt, sowie institutionelle Gewalt.

Die Ergebnisse und die daraus resultierenden Forderungen an die Bundesregierung wurden heute im Rahmen einer Online-Pressekonferenzvorgestellt, wenige Tage vor dem Vater- und dem Muttertag.

Johanna Wiest, TDF-Referentin für häusliche und sexualisierte Gewalt, stellte die Ergebnisse vor. Sie und die Rechtsanwältin Dr. Farzana Soleimankehl-Hanke, die seit Jahren Mütter vor dem Familiengericht vertritt, beantworteten Fragen. Johanna Wiest benannte die Forderungen, die TDF an die Bundesregierung richtet.

Sie können hier alle Ergebnisse und die Auswertung einsehen. 
(PDF-Download der Ergebnisse)

Die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst:

Die Umfrage zeigt klar: Gewalttätige Väter nutzen das Umgangs- und Sorgerecht, um auch nach der Trennung Kontrolle und Gewalt über die Frau auszuüben.

Hinzu kommt: In Umgangs- und Sorgerechtsangelegenheiten erleiden gewaltbetroffene Mütter institutionelle Gewalt. 

Gerichte und Behörden, so zeigte sich, sind in ihren Entscheidungen häufig von frauenfeindlichen Narrativen geleitet. Hier mehr dazu.

Die Umfrage-Teilnehmerinnen machten die Erfahrung, dass Behörden und Gerichte Väterrechte über das Kindeswohl stellen und den Willen der Kinder nicht berücksichtigen. In 55% der Fälle erwirkten gewalttätige Väter Umgänge, die die Mutter als nicht sicher empfand.

Zitate von Müttern (Auswahl)

In der Umfrage gab es für die teilnehmenden Mütter die Möglichkeit, Wünsche und Forderungen zu äußern. Ihre Antworten zeichnen ein bestürzendes Bild institutionellen Versagens. Bemerkenswert ist, dass 685 Teilnehmerinnen auf diese optionale und letzte Frage antworteten. Einige Beispiele:

„Ich wünsche mir den Ausschluss des Umgangsrechtes des Kindesvaters bei Vorliegen von sexueller oder körperlicher Gewalt, auch Stalking und Drohungen.“

„Ich wünsche mir, dass Väter in die Verantwortung genommen werden und dass Frauen/ Müttern geglaubt wird, wenn sie sich an Institutionen wenden.“

„Ich wünsche mir gleichwertig behandelt zu werden und trotz Mutterschaft ein Recht auf Schutz, Würde und Selbstbestimmung zu behalten.“

Auf Grundlage der Umfrageergebnisse richtet TDF Forderungen an die Bundesregierung. Eine Auswahl:

  • Priorisierung des Gewaltschutzes betroffener Mütter und Kinder: Stabilisierung, Entschleunigung und Schutz im Kontext familienrechtlicher Verfahren und Prozesse. Bei Gewalttaten sollte der Umgang mit dem gewaltausübenden Elternteil für sechs Monate ausgesetzt werden. Die Wiederaufnahme der Umgänge muss an Bedingungengeknüpft werden.
  • Gemäß §1626 Abs. 3 Satz 1 BGB gehört zum Wohle des Kindes in der Regel der Umgang mit beiden Eltern. Bei häuslicher Gewalt darf diese Regelvermutung keine Anwendung finden. Der Begriff Kindeswohl muss darüber hinaus definiert werden, da dessen Anwendung in Verfahren, die die elterliche Sorge oder das Umgangsrecht nach einer Trennung regeln, derzeit auf der individuellen Auslegung der Gerichte und AkteurInnen beruht.
  • Anhörung der Kinder und Berücksichtigung ihrer Interessen. Kinderrechte müssen Vorrang vor einseitigen Elterninteresse haben.

Zitate aus der Pressekonferenz am 07.05.2024:
Johanna Wiest auf die Frage, ob "Falschaussagen" von Müttern ein Problem darstellen: "Wir stellen ja gerade mit unserer Umfrage fest, dass Vorwürfe von Müttern und Vätern ungleich von Institutionen bewertet werden. Das ist das Problem. Nicht Falschaussagen. Sondern das Müttern nicht geglaubt wird und Gewaltvorwürfen deshalb nicht nachgegangen wird,andersherum aber schon. Wenn ein Vater der Mutter etwas vorwirft, wird das geprüft. Außerdem ist die Unterstellung, dass Frauen lügen und nur Aufmerksamkeit wollen, ja Standard auch in anderen Kontexten als dem des Familiengerichts."

Dr. Farsana Soleimankehl-Hanke sagte auf die Frage nach weiteren Plänen für wissenschaftliche Forschung zum Thema: "Das Justizministerium dürfte doch größere Ressourcen zur Verfügung gestellt bekommen als TERRE DES FEMMES und deswegen finde ich sollte man (die Umfrage) durchaus als einen Ansporn sehen wirklich die aufgeworfenen Fragen wissenschaftlich und in einer größeren Bandbreite zu ermitteln."

Auf unserer Webseite finden Sie ab heute viele weitere Materialien:

Mehr Hintergrundinformationen zum Thema

Die gesamte Auswertung der Umfrage

Forderungen von TDF

Zitate betroffener Mütter aus der Umfrage

Interviews mit betroffenen Müttern
Interview mit Rechtsanwältin Dr. Farsana Soleimankehl-Hanke

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